Kontroverse Geschäftsfelder
Ich zuckere mich nicht. Ich kreuzfahre nicht. Ich alkoholisiere mich nicht. Ich nestlé nicht. Ich schweinefleische nicht. Ich AfDle nicht. Ich diesle nicht. Ich Granny-Smithe nicht. Ich luftfahre nicht. Ich kaufe keine Carnival-Aktien und keinen Schützenpanzer Puma. Prinzip »Boykott«. Wer definiert, was gut und Böse ist? Die Kirche? Einige Finanzanalysten? Der Ethikrat? Ich? Die Alternative zu diesem ewigen Abwägen und Neujustieren des Erlaubens und Verbietens? Alles kaufen, was Rendite bringt!
Jeder wählt aus den Angeboten die Produkte aus, die zu seinen Werten passen. Auch bei seinen Finanzen? Ich investiere nur in ESG und SRI-ETFs. Diese Fonds wenden das Konzept der Kontroversen Geschäftsfelder an. ESG bewertet, wie viel Risiko ein Unternehmen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung birgt, und wählt nur die risikoärmsten Unternehmen einer Branche aus. TotalEnergies ist enthalten – ein Ölunternehmen. SRI-ETFs schließen ganze Branchen aus. Zum Beispiel die fossile Industrie, also Kohle, Öl und Gas. Was ist mit Atomkraft? Da wird es schon schwieriger. Ist Kernkraft eine notwendige Brücken- oder Ergänzungstechnologie auf dem Weg zur klimaneutralen Energieversorgung? Oder ein Hindernis bei der Umstellung auf 100 % Wind und Sonnenenergie?
Wer definiert, welche Geschäftsfelder kontrovers sind?
Jede Bank, jede Fondsgesellschaft und jeder Analyst hat eigene Kriterien, nach denen Geschäftsmodelle und Branchen bewertet, eingeschlossen oder ausgeschlossen werden. Die Bank im Bistum Essen eG definiert beispielsweise diese Bereiche als Kontroverse Geschäftsfelder:1
- Abtreibung und Empfängnisverhütung
- Pornografie – böses Wort! Sagen wir »Erwachsenenunterhaltung«
- Verstöße gegen den Tierschutz: Massentierhaltung, Tierversuche, Tiertransporte
- Biozidproduzenten
- Fossile Brennstoffe: Öl, Kohle, Gas
- Kernenergie
- Rüstung und Waffen (einschließlich konventioneller und kontroverser Waffen)
- Sucht: Alkohol, Glücksspiel, Tabak:
- Gentechnik und Stammzellenforschung:
- Unternehmen, die gegen die Prinzipien des UN Global Compact verstoßen.
Bei den Waffen kann man sich fragen: Konventionelle Waffen sind ok? Waffen, die durch internationale Abkommen geächtet sind, schließen wir aus? Anti-Personenminen (Ottawa Vertrag2), Streumunition (Osloer Übereinkommen3) sowie biologische und chemische Waffen, Brandwaffen, Kernwaffen, abgereichertes Uran und weißer Phosphor. Rheinmetall fehlt in dem Rüstungs-ETFs VanEck Defense UCITS ETF A. Warum? Der deutsche Waffenproduzent ist über seine Tochterfirma Nitrochemie (Stand 2023) an der Herstellung von Treibladungspulver zur Verwendung in Munition mit abgereichertem Uran beteiligt.4 Dies ist ein Ausschlusskriterium in dem erwähnten ETF.
Macht der russische Angriff auf die Ukraine aus der Waffenbranche ein ethisches Investment?
Am 24.02.2022 überfiel die russische Armee die Ukraine. In Butscha töteten russische Soldaten 500 Zivilisten.5 Die russischen Soldaten bombardieren mit ihren Iskanderraketen und Shahed-Drohnen bis heute täglich die ukrainische Strom- und Wasserversorgung. Durch den Beschuss auf Krankenhäuser werden Menschen getötet. Eine endlose Kette aus Kriegsverbrechen. Wladimir Putin will die Ukraine zerstören und hasst den ukrainischen Präsidenten Selenskyj so sehr, dass er seinen Namen nie öffentlich ausspricht. Der russische Ex-Präsident Medwedew nennt die baltischen Staaten abfällig »unsere Provinzen«.6 Ändert das unsere Einstellung zur Waffenbranche, weil durch die Lieferung von Kriegsgerät solches Leid eingeschränkt werden kann?
Die deutsche Firma Diehl Defence liefert IRIS-T SLM Flugabwehrsysteme an die Ukraine. Um einen Großteil der russischen Luftangriffe zu verhindern und das Morden einzugrenzen. Rheinmetall stellt der Ukraine die Panzerhaubitze 2000 und Leopard-2 Panzer bereit. Von dem 2022 beschlossenen 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr7 und den auf 2 % des Bruttoinlandsprodukt steigenden Ausgaben für die Verteidigung (NATO-Vorgabe)8 profitieren weitere deutsche Rüstungsfirmen wie Airbus (Eurofighter), ThyssenKrupp Marine Systems, MTU und Hensholdt. Nicht alle Waffen wird Deutschland regional einkaufen können, um gegen einen potenziellen russischen Angriff in den nächsten Jahren verteidigungsfähig zu werden.9 Einige Milliarden dürften an die Big-Weapon-Kings in die USA fließen: Lockhead Marting (F35 Jets), General Dynamics und Raytheon.
Nimmt eine Ranking-Agentur, oder Du als Investor, die Waffenindustrie aus der Liste der geächteten Branchen? Wie sagte ein Rheinmetall Mitarbeiter in der ARD-Dokumentation »Inside Rheinmetall- Zwischen Krieg und Frieden? »Seit dem Ukraine-Krieg sind wir nicht mehr die Schmuddelkinder der Wirtschaft«. Der Aktienkurs von Rheinmetall stieg seit Anfang 2022 um 648 %. Von 97,20 EUR am 01.02.2022 auf 726,80 EUR am 07.02.2025.
»Seit dem Ukraine-Krieg sind wir nicht mehr die Schmuddelkinder der Wirtschaft«
Rheinmetall Mitarbeiter in der ARD-Dokumentation »Inside Rheinmetall«?
Rechtfertigt die Rendite jede Überhitzung?
Es dürfte schwerfallen, Pro-Argumente für die Öl- und Gasindustrie zu finden. Etwa, wenn eine Fläche in der Größe Deutschlands mit CO2-Staubsaugern (Carbon Capture) sämtliche Emissionen der Menschheit auffängt?
Nicht erst seit Christian Stöckers Buch »Männer, die die Welt verbrennen« ist es bekannt, dass es der fossilen Industrie nicht um »Energiesicherheit« geht, wie sie gerne erzählen, sondern um die vier Milliarden Euro Gewinn pro Tag. Möglichst lange soll diese Geldquelle sprudeln – der Aufstieg der Sonnen- und Windenergie stört da nur.
Quellen
- stiftungsfonds.de
- de.wikipedia.org
- auswaertiges-amt.de
- ISS ESG, ZEIT vom 15.06.2023, Seite 22
- ndr.de
- zdf.de
- bmvg.de
- iwkoeln.de
- zeit.de